Die Arbeitswelt wandelt sich rasant. Das bringt neue Anforderungen, aber auch große Chancen für Unternehmen und Beschäftigte !
Neue Anforderungen. Solche Erleichterungen dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Jobs anspruchsvoller geworden sind. Der unübersehbare Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft stellt die Beschäftigten vor ständig neue Herausforderungen. Fremdsprachen gelten inzwischen schon fast als Selbstverständlichkeit, selbst Mechaniker kommen kaum noch ohne Computerkenntnisse aus, zahllose Vorschriften, Normen und Regeln haben den Berufsalltag komplizierter gemacht. Smartphone und Laptop ermöglichen das Arbeiten zu Hause oder unterwegs – und sorgen dafür, dass der Vorgesetzte den Kollegen jederzeit erreichen kann, wenn´s sein muss, sogar im Urlaub. An die Stelle des festen 8-Stunden-Tags sind in vielen Branchen Teilzeitarbeit, Job-Sharing oder Home-Office getreten, Zeitarbeit ist auf dem Vormarsch – und bringt Beschäftigten den häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes mit ständig neuen Anforderungen.
Die demografische Entwicklung, die Deutschland eine rapide alternde Bevölkerung beschert, sorgt für zusätzliche Veränderungen.
Damit das Rentensystem weiterhin bezahlbar bleibt, soll die Lebensarbeitszeit steigen, die Rente mit 67 ist beschlossene Sache. Für ältere Mitarbeiter bringt das freilich auch längere und stärkere Belastungen mit sich. Dabei sind die heute schon hoch: Zwar sind ältere Arbeitnehmer seltener krank als jüngere; mit dem Alter der Betroffenen nimmt aber die Dauer der Erkrankung zu. Während 30- bis 34-Jährige pro Jahr im Durchschnitt neun Tage fehlen, sind es bei den 50- bis 54-Jährigen bereits 16 und bei den über 60-Jährigen 19 Arbeitstage pro Jahr. Überdies scheiden immer noch viele Arbeitnehmer schon vor Erreichen des offiziellen Rentenalters aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben aus. Und der harte Wettbewerb in einer globalisierten Wirtschaft sorgt für weiteren Veränderungsdruck: Billigkonkurrenz aus Übersee zwingt heimische Unternehmen zu Rationalisierung und Effizienz.
Stress fordert Tribut. Keine Frage: Die Arbeitswelt wandelt sich radikal – doch was bedeutet das für die Gesundheit der Beschäftigten? Arbeitsmediziner können keine Entwarnung geben, immer noch sind Deutschlands Arbeitnehmer häufig krank. Nachdem die Fehlzeiten jahrelang rückläufig waren, nehmen sie seit 2006 wieder zu. Aktuell ist jeder pflichtversicherte Erwerbstätige im Schnitt rund zwei Wochen pro Jahr krankgeschrieben. Und dabei vermitteln die Prozentzahlen nur ein unvollständiges Bild: Viele Kurzzeit-Erkrankungen werden in der offiziellen Statistik gar nicht erfasst, weil der Arbeitgeber auf Atteste verzichtet.
Bei den Krankheitsbildern haben sich Verschiebungen ergeben. Verletzungen waren beispielsweise laut BARMER GEK Gesundheitsreport 2011 für 13,4 Prozent der Fehlzeiten der Versicherten verantwortlich. Auf Muskel- und Skeletterkrankungen entfielen 22,1 Prozent. Das waren zwar etwas weniger als im Vorjahr, doch diese Beschwerden sind nach wie vor die Hauptursache für Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Auch wenn Erkrankungen nicht immer zu Fehlzeiten führen, sind Deutschlands Arbeitnehmer alles andere als gesund. So berichten beispielsweise 37 Prozent der Angestellten von Magen- und Verdauungsbeschwerden und immerhin 24 Prozent, also fast ein Viertel, von Herz- und Kreislaufproblemen.
Drastisch zugenommen haben zuletzt aber vor allem psychische Belastungsstörungen. Laut dem Gesundheitsreport der BARMER GEK waren zuletzt 17,2 Prozent der Fehlzeiten auf psychische und Verhaltensstörungen zurückzuführen. Damit sind solche Erkrankungen bereits die zweithäufigste Ursache für krankheitsbedingte Abwesenheit. Stress, Hektik, die immer schnelleren Arbeitsabläufe und die ständige Erreichbarkeit fordern offenbar ihren Tribut. Burn-out ist eine Realität, mit der vor allem Führungskräfte zunehmend konfrontiert sind. Und 54 Prozent, also mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer, klagen über zumindest gelegentliche Erschöpfungszustände, 55 Prozent über Kopfschmerzen, 64 Prozent über Müdigkeit und 35 Prozent sogar über depressive Verstimmungen.
Hohe Kosten. Die wirtschaftlichen Folgen von Erkrankungen der Mitarbeiter sind für Unternehmen gravierend. Laut der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA), einer Kooperation von Krankenkassen und Berufsgenossenschaften, gehen weltweit schätzungsweise rund drei Prozent der Wirtschaftsleistung durch Arbeitsausfall verloren. Dabei entstehen Schäden nicht nur durch die Abwesenheit des Arbeitnehmers, sondern auch durch die Anwesenheit. Paradox? Arbeitsmediziner sprechen von Präsentismus und meinen damit das Phänomen, dass Arbeitnehmer im Betrieb erscheinen, obwohl sie nicht voll leistungsfähig sind. Laut der Unternehmensberatung Roland Berger wurden in mehreren internationalen Studien Produktivitätsverluste von rund 15 Prozent auf Grund dieses Präsentismus gemessen – etwa dreimal so viel wie durch krankgeschriebene Kollegen. Gestörte Arbeitsabläufe, mangelnde Qualität, steigende Fehlerraten und höhere Unfallgefahren führen zu konkreten Wettbewerbsnachteilen.
In der Bundesrepublik, so eine Studie der Unternehmensberatung Booz & Company, entstehen einem Unternehmen pro Arbeitnehmer Krankheitskosten von rund 3600 Euro jährlich. Davon entfallen rund 1200 Euro auf Abwesenheit, also Absentismus, der weit größere Teil der Kostenbelastung entsteht mit rund 2400 Euro dagegen durch die Folgen von Präsentismus. Insgesamt summieren sich die krankheitsbedingten Kosten für die deutschen Unternehmen auf jährlich etwa 130 Milliarden Euro, der volkswirtschaftliche Schaden liegt bei einem Bruttowertschöpfungsausfall von 225 Milliarden Euro, macht also rund neun Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts aus. Und zu den 33 Milliarden Euro, die deutsche Krankenkassen 2011 allein für die direkte Behandlung von psychischen und Verhaltensstörungen ausgaben, kommen noch mal 45 Milliarden Schäden wegen Fehlzeiten und Produktionsausfällen in den Betrieben.
Doch nun beginnt in den Chefetagen ein Umdenken. Immer mehr Unternehmen erkennen klaren Handlungsbedarf – zum Vorteil aller Beteiligten. Großkonzerne wie Daimler oder Audi waren Vorreiter, dort kümmern sich Betriebsärzte, Gesundheitsmanager, Fachkräfte für Arbveitssicherheit und andere Experten um die Gesundheit der Mitarbeiter. Inzwischen sind aber auch kleinere und mittlere Unternehmen für die Problematik zunehmend sensibilisiert. In immer mehr Betrieben wird die körperliche und mentale Fitness der Belegschaft mit Programmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) zur Chefsache.
„Betriebliches Gesundheitsmanagement bringt klare ökonomische Vorteile, bestätigt Professor Gerhard Huber vom sportwissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg, der seit Jahren zusammen mit großen und kleinen Betrieben Projekte auf diesem Sektor entwickelt und betreut. So konnte Daimler schon vor Jahren mit einem von Professor Huber entwickelten Programm zur Rückenschulung die Anzahl der Krankheitstage auf Grund solcher Beschwerden um satte 38 Prozent senken. Untersuchungen in den USA kommen zu ähnlich ermutigenden Ergebnissen: So ergab eine Auswertung von 56 Einzelstudien, dass die Programme zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz die Arbeitsunfähigkeit um durchschnittlich 26,8 Prozent reduzierten. Die Gesamtausgaben für Gesundheit sanken dadurch um 26,1 Prozent, und es ergab sich eine Kosten-Nutzen-Relation von 1 : 5,8 – ein Dollar, der in Gesundheitsförderung gesteckt wurde, brachte demnach fast sechs Dollar ein. Auch die Studie von Booz & Company kommt zu beeindruckenden Ergebnissen: „Jeder Euro, der in betriebliche Prävention investiert wird, zahlt sich auf volkswirtschaftlicher Ebene mit fünf bis 16 Euro aus – je nach Art und Umfang der Maßnahme.
Vorteile für alle. Doch es sind nicht nur niedrigere Fehlzeiten oder sinkende Krankheitskosten, die BGM für Unternehmen zur lohnenden Investition machen. Mit Präventions- und Gesundheitsprogrammen wächst auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter und die Identifikation mit dem Unternehmen, die „innere Kündigung wird vermieden. Und je höher die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, desto höher sind Leistungsbereitschaft, Einsatz, Arbeitsfreude und Kreativität – und damit auch die Produktivität des gesamten Betriebs.
Unternehmen stehen aber nicht nur im Wettbewerb um Absatz und Marktanteile. Immer wichtiger wird die Suche nach qualifiziertem Personal. Fach- und Führungskräfte sind längst Mangelware und werden in der globalisierten Wirtschaftswelt zunehmend international gesucht. Gesundheitsförderung erhöht die Attraktivität eines Arbeitgebers dabei deutlich, insbesondere Hochqualifizierte sind heute nicht mehr allein über Geld zu ködern. BGM wird so im „War for Talents zum Standortvorteil und bindet junge Nachwuchskräfte langfristig. Das gilt genauso für ältere Mitarbeiter. Die werden angesichts des demografischen Wandels und des Arbeitskräftemangels immer wichtiger. Jeder erfahrene Mitarbeiter, der krankheitsbedingt vorzeitig ausscheidet, bedeutet für den Betrieb auch den Verlust von wertvollem Know-how. „Programme zur Gesundheitsförderung sichern Unternehmen eine eingespielte und zuverlässige Belegschaft, die körperlich und psychisch in der Lage ist, den verschärften Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden, erläutert Professor Walter Tokarski von der Deutschen Sporthochschule Köln.
Auch die Mitarbeiter selbst stehen beim BGM klar auf der Gewinnerseite. Die Vorteile für die körperliche und seelische Gesundheit liegen auf der Hand: Training und verbesserte Lebensführung steigern Lebensfreude und Wohlbefinden unmittelbar. Die höhere Zufriedenheit führt aber auch zu besserer Motivation – und die wiederum erhöht die Leistungsfähigkeit und damit auch die Karrierechancen. Und schließlich profitiert die ganze Familie von Gesundheitsförderung im Unternehmen: Statt körperliche Beschwerden und Stress aus der Arbeit mit nach Hause zu bringen, gelingt Berufstätigen die „Work-Life-Balance, der Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben, wesentlich besser.
Keine halben Sachen. Immer noch findet sich allerdings in Unternehmen auch die Haltung: „Haben wir schon mal gemacht, hat aber nichts gebracht. Solche Erfahrungen liegen meist daran, dass man sich auf punktuelle Aktionen beschränkt hat. Einzelaktionen kosteten jedoch nur Geld, hätten aber keinen nachhaltigen Effekt, meint Sportwissenschaftler Gerhard Huber. Stattdessen müsse es ein umfassendes Konzept geben, das am besten zusammen mit den Beschäftigten entwickelt werde. In der betrieblichen Praxis steht den Unternehmen eine ganze Palette von konkreten Möglichkeiten zur Verfügung. Das Spektrum reicht von Rückenschulung, Gymnastik am Arbeitsplatz, dem Firmentriathlon für die ganze Familie, Sportprogrammen, Laufgruppen oder Fitness-Räumen über spezielle Programme zur Raucherentwöhnung und Suchtprävention bis zur Ernährungsberatung und zur gesunden Ernährung. Entscheidend sind dabei jedoch stets das Zusammenwirken der Programme und Aktionen und das Mitwirken aller relevanten Personen und Abteilungen von der Chefetage über das Management, die Betriebsärzte, die Gesundheitsmanager, die fachkräfte für Arbeitssicherheit, Personalabteilung bis zur Kantine. Professor Tokarski weiß: „Vorgesetzte haben dabei immer eine Vorbildfunktion.
Kleinere Unternehmen müssen sich vom konzeptionellen Aufwand nicht abschrecken lassen. Neben Institutionen, den Berufsgenossenschaften, die Kranklenkassen unterstüzen Sie auch Beratungs- und Dientsleistungsunternehmen beim Aufbau eines BGM.
Neue Anforderungen. Solche Erleichterungen dürfen freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Jobs anspruchsvoller geworden sind. Der unübersehbare Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft stellt die Beschäftigten vor ständig neue Herausforderungen. Fremdsprachen gelten inzwischen schon fast als Selbstverständlichkeit, selbst Mechaniker kommen kaum noch ohne Computerkenntnisse aus, zahllose Vorschriften, Normen und Regeln haben den Berufsalltag komplizierter gemacht. Smartphone und Laptop ermöglichen das Arbeiten zu Hause oder unterwegs – und sorgen dafür, dass der Vorgesetzte den Kollegen jederzeit erreichen kann, wenn´s sein muss, sogar im Urlaub. An die Stelle des festen 8-Stunden-Tags sind in vielen Branchen Teilzeitarbeit, Job-Sharing oder Home-Office getreten, Zeitarbeit ist auf dem Vormarsch – und bringt Beschäftigten den häufigen Wechsel des Arbeitsplatzes mit ständig neuen Anforderungen.
Die demografische Entwicklung, die Deutschland eine rapide alternde Bevölkerung beschert, sorgt für zusätzliche Veränderungen.
Damit das Rentensystem weiterhin bezahlbar bleibt, soll die Lebensarbeitszeit steigen, die Rente mit 67 ist beschlossene Sache. Für ältere Mitarbeiter bringt das freilich auch längere und stärkere Belastungen mit sich. Dabei sind die heute schon hoch: Zwar sind ältere Arbeitnehmer seltener krank als jüngere; mit dem Alter der Betroffenen nimmt aber die Dauer der Erkrankung zu. Während 30- bis 34-Jährige pro Jahr im Durchschnitt neun Tage fehlen, sind es bei den 50- bis 54-Jährigen bereits 16 und bei den über 60-Jährigen 19 Arbeitstage pro Jahr. Überdies scheiden immer noch viele Arbeitnehmer schon vor Erreichen des offiziellen Rentenalters aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben aus. Und der harte Wettbewerb in einer globalisierten Wirtschaft sorgt für weiteren Veränderungsdruck: Billigkonkurrenz aus Übersee zwingt heimische Unternehmen zu Rationalisierung und Effizienz.
Stress fordert Tribut. Keine Frage: Die Arbeitswelt wandelt sich radikal – doch was bedeutet das für die Gesundheit der Beschäftigten? Arbeitsmediziner können keine Entwarnung geben, immer noch sind Deutschlands Arbeitnehmer häufig krank. Nachdem die Fehlzeiten jahrelang rückläufig waren, nehmen sie seit 2006 wieder zu. Aktuell ist jeder pflichtversicherte Erwerbstätige im Schnitt rund zwei Wochen pro Jahr krankgeschrieben. Und dabei vermitteln die Prozentzahlen nur ein unvollständiges Bild: Viele Kurzzeit-Erkrankungen werden in der offiziellen Statistik gar nicht erfasst, weil der Arbeitgeber auf Atteste verzichtet.
Bei den Krankheitsbildern haben sich Verschiebungen ergeben. Verletzungen waren beispielsweise laut BARMER GEK Gesundheitsreport 2011 für 13,4 Prozent der Fehlzeiten der Versicherten verantwortlich. Auf Muskel- und Skeletterkrankungen entfielen 22,1 Prozent. Das waren zwar etwas weniger als im Vorjahr, doch diese Beschwerden sind nach wie vor die Hauptursache für Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Auch wenn Erkrankungen nicht immer zu Fehlzeiten führen, sind Deutschlands Arbeitnehmer alles andere als gesund. So berichten beispielsweise 37 Prozent der Angestellten von Magen- und Verdauungsbeschwerden und immerhin 24 Prozent, also fast ein Viertel, von Herz- und Kreislaufproblemen.
Drastisch zugenommen haben zuletzt aber vor allem psychische Belastungsstörungen. Laut dem Gesundheitsreport der BARMER GEK waren zuletzt 17,2 Prozent der Fehlzeiten auf psychische und Verhaltensstörungen zurückzuführen. Damit sind solche Erkrankungen bereits die zweithäufigste Ursache für krankheitsbedingte Abwesenheit. Stress, Hektik, die immer schnelleren Arbeitsabläufe und die ständige Erreichbarkeit fordern offenbar ihren Tribut. Burn-out ist eine Realität, mit der vor allem Führungskräfte zunehmend konfrontiert sind. Und 54 Prozent, also mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer, klagen über zumindest gelegentliche Erschöpfungszustände, 55 Prozent über Kopfschmerzen, 64 Prozent über Müdigkeit und 35 Prozent sogar über depressive Verstimmungen.
Hohe Kosten. Die wirtschaftlichen Folgen von Erkrankungen der Mitarbeiter sind für Unternehmen gravierend. Laut der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA), einer Kooperation von Krankenkassen und Berufsgenossenschaften, gehen weltweit schätzungsweise rund drei Prozent der Wirtschaftsleistung durch Arbeitsausfall verloren. Dabei entstehen Schäden nicht nur durch die Abwesenheit des Arbeitnehmers, sondern auch durch die Anwesenheit. Paradox? Arbeitsmediziner sprechen von Präsentismus und meinen damit das Phänomen, dass Arbeitnehmer im Betrieb erscheinen, obwohl sie nicht voll leistungsfähig sind. Laut der Unternehmensberatung Roland Berger wurden in mehreren internationalen Studien Produktivitätsverluste von rund 15 Prozent auf Grund dieses Präsentismus gemessen – etwa dreimal so viel wie durch krankgeschriebene Kollegen. Gestörte Arbeitsabläufe, mangelnde Qualität, steigende Fehlerraten und höhere Unfallgefahren führen zu konkreten Wettbewerbsnachteilen.
In der Bundesrepublik, so eine Studie der Unternehmensberatung Booz & Company, entstehen einem Unternehmen pro Arbeitnehmer Krankheitskosten von rund 3600 Euro jährlich. Davon entfallen rund 1200 Euro auf Abwesenheit, also Absentismus, der weit größere Teil der Kostenbelastung entsteht mit rund 2400 Euro dagegen durch die Folgen von Präsentismus. Insgesamt summieren sich die krankheitsbedingten Kosten für die deutschen Unternehmen auf jährlich etwa 130 Milliarden Euro, der volkswirtschaftliche Schaden liegt bei einem Bruttowertschöpfungsausfall von 225 Milliarden Euro, macht also rund neun Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts aus. Und zu den 33 Milliarden Euro, die deutsche Krankenkassen 2011 allein für die direkte Behandlung von psychischen und Verhaltensstörungen ausgaben, kommen noch mal 45 Milliarden Schäden wegen Fehlzeiten und Produktionsausfällen in den Betrieben.
Doch nun beginnt in den Chefetagen ein Umdenken. Immer mehr Unternehmen erkennen klaren Handlungsbedarf – zum Vorteil aller Beteiligten. Großkonzerne wie Daimler oder Audi waren Vorreiter, dort kümmern sich Betriebsärzte, Gesundheitsmanager, Fachkräfte für Arbveitssicherheit und andere Experten um die Gesundheit der Mitarbeiter. Inzwischen sind aber auch kleinere und mittlere Unternehmen für die Problematik zunehmend sensibilisiert. In immer mehr Betrieben wird die körperliche und mentale Fitness der Belegschaft mit Programmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) zur Chefsache.
„Betriebliches Gesundheitsmanagement bringt klare ökonomische Vorteile, bestätigt Professor Gerhard Huber vom sportwissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg, der seit Jahren zusammen mit großen und kleinen Betrieben Projekte auf diesem Sektor entwickelt und betreut. So konnte Daimler schon vor Jahren mit einem von Professor Huber entwickelten Programm zur Rückenschulung die Anzahl der Krankheitstage auf Grund solcher Beschwerden um satte 38 Prozent senken. Untersuchungen in den USA kommen zu ähnlich ermutigenden Ergebnissen: So ergab eine Auswertung von 56 Einzelstudien, dass die Programme zur Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz die Arbeitsunfähigkeit um durchschnittlich 26,8 Prozent reduzierten. Die Gesamtausgaben für Gesundheit sanken dadurch um 26,1 Prozent, und es ergab sich eine Kosten-Nutzen-Relation von 1 : 5,8 – ein Dollar, der in Gesundheitsförderung gesteckt wurde, brachte demnach fast sechs Dollar ein. Auch die Studie von Booz & Company kommt zu beeindruckenden Ergebnissen: „Jeder Euro, der in betriebliche Prävention investiert wird, zahlt sich auf volkswirtschaftlicher Ebene mit fünf bis 16 Euro aus – je nach Art und Umfang der Maßnahme.
Vorteile für alle. Doch es sind nicht nur niedrigere Fehlzeiten oder sinkende Krankheitskosten, die BGM für Unternehmen zur lohnenden Investition machen. Mit Präventions- und Gesundheitsprogrammen wächst auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter und die Identifikation mit dem Unternehmen, die „innere Kündigung wird vermieden. Und je höher die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, desto höher sind Leistungsbereitschaft, Einsatz, Arbeitsfreude und Kreativität – und damit auch die Produktivität des gesamten Betriebs.
Unternehmen stehen aber nicht nur im Wettbewerb um Absatz und Marktanteile. Immer wichtiger wird die Suche nach qualifiziertem Personal. Fach- und Führungskräfte sind längst Mangelware und werden in der globalisierten Wirtschaftswelt zunehmend international gesucht. Gesundheitsförderung erhöht die Attraktivität eines Arbeitgebers dabei deutlich, insbesondere Hochqualifizierte sind heute nicht mehr allein über Geld zu ködern. BGM wird so im „War for Talents zum Standortvorteil und bindet junge Nachwuchskräfte langfristig. Das gilt genauso für ältere Mitarbeiter. Die werden angesichts des demografischen Wandels und des Arbeitskräftemangels immer wichtiger. Jeder erfahrene Mitarbeiter, der krankheitsbedingt vorzeitig ausscheidet, bedeutet für den Betrieb auch den Verlust von wertvollem Know-how. „Programme zur Gesundheitsförderung sichern Unternehmen eine eingespielte und zuverlässige Belegschaft, die körperlich und psychisch in der Lage ist, den verschärften Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden, erläutert Professor Walter Tokarski von der Deutschen Sporthochschule Köln.
Auch die Mitarbeiter selbst stehen beim BGM klar auf der Gewinnerseite. Die Vorteile für die körperliche und seelische Gesundheit liegen auf der Hand: Training und verbesserte Lebensführung steigern Lebensfreude und Wohlbefinden unmittelbar. Die höhere Zufriedenheit führt aber auch zu besserer Motivation – und die wiederum erhöht die Leistungsfähigkeit und damit auch die Karrierechancen. Und schließlich profitiert die ganze Familie von Gesundheitsförderung im Unternehmen: Statt körperliche Beschwerden und Stress aus der Arbeit mit nach Hause zu bringen, gelingt Berufstätigen die „Work-Life-Balance, der Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben, wesentlich besser.
Keine halben Sachen. Immer noch findet sich allerdings in Unternehmen auch die Haltung: „Haben wir schon mal gemacht, hat aber nichts gebracht. Solche Erfahrungen liegen meist daran, dass man sich auf punktuelle Aktionen beschränkt hat. Einzelaktionen kosteten jedoch nur Geld, hätten aber keinen nachhaltigen Effekt, meint Sportwissenschaftler Gerhard Huber. Stattdessen müsse es ein umfassendes Konzept geben, das am besten zusammen mit den Beschäftigten entwickelt werde. In der betrieblichen Praxis steht den Unternehmen eine ganze Palette von konkreten Möglichkeiten zur Verfügung. Das Spektrum reicht von Rückenschulung, Gymnastik am Arbeitsplatz, dem Firmentriathlon für die ganze Familie, Sportprogrammen, Laufgruppen oder Fitness-Räumen über spezielle Programme zur Raucherentwöhnung und Suchtprävention bis zur Ernährungsberatung und zur gesunden Ernährung. Entscheidend sind dabei jedoch stets das Zusammenwirken der Programme und Aktionen und das Mitwirken aller relevanten Personen und Abteilungen von der Chefetage über das Management, die Betriebsärzte, die Gesundheitsmanager, die fachkräfte für Arbeitssicherheit, Personalabteilung bis zur Kantine. Professor Tokarski weiß: „Vorgesetzte haben dabei immer eine Vorbildfunktion.
Kleinere Unternehmen müssen sich vom konzeptionellen Aufwand nicht abschrecken lassen. Neben Institutionen, den Berufsgenossenschaften, die Kranklenkassen unterstüzen Sie auch Beratungs- und Dientsleistungsunternehmen beim Aufbau eines BGM.
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